Neues von „Juddebube“
- Posted by PPC-Limburg
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- Date 2. Februar 2022
Neues von „Juddebube“: Eintracht Frankfurt präsentiert Erinnerungsarbeit an der PPC
Mit einem Vortrag und einer Diskussionsrunde erinnert der Leiter des Museums der Eintracht Frankfurt an der Peter-Paul-Cahensly-Schule Limburg an die Gräueltaten des Nationalsozialismus.
Vor interessierten Schülerinnen und Schülern sowie Vertretern der Schulleitung der Peter-Paul-Cahensly-Schule und Mitgliedern des Vereins „Wir sind mehr – gegen Rechtsextremismus, für Demokratie und Toleranz Limburg-Weilburg e.V.“ machte der Museums-Direktor der Eintracht Frankfurt Matthias Thoma klar, dass die Geschichte des Fußball-Bundesligisten nicht nur sportliche Momente beinhalte. Mittlerweile müsse man, wie zahlreiche andere Bundesligisten auch, über die hässlichen Wahrheiten Eintracht-Geschichte während der NS-Diktatur sprechen. Entsprechend war das Ziel des Vortrages „Neues vom Juddebube – Eintracht Frankfurt in der NS-Zeit“ das Schicksal der jüdischen Mitglieder vor, während und nach dem Nationalsozialismus darzustellen. Abgerundet wurde der Vortrag durch eine Diskussionsrunde mit den Anwesenden wie auch der online zugeschalteten Interessierten.
Anlass der Veranstaltung, die auch zeitgleich im Internet übertragen wurde, war der Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz-Birkenau am 27. Januar 1945 durch sowjetische Soldaten. „Dieser Termin ist geeignet, sich mit den Schicksalen der jüdischen Mitglieder des Traditionsvereins auseinanderzusetzen“, so der Organisator der Veranstaltung Sebastian Wendt, der zugleich als Politiklehrer eine Gedenkstättenfahrt mit 22 interessierten Schülerinnen und Schülern nach Buchenwald organisiert. Träger der Fahrt und Mitorganisator der Veranstaltung in der Peter-Paul-Cahensly-Schule ist der Verein „Wir sind mehr – gegen Rechtsextremismus, für Demokratie und Toleranz Limburg-Weilburg e.V.“, der mit ihrer Vorsitzenden, Eileen Glienke, als Mitveranstalter ein Grußwort sprach. „Die Verantwortung heute lautet, allen Formen des Antisemitismus, des Rassismus und der Diskriminierung entschieden entgegenzuwirken“, so Detlef Winkler, Schulleiter der Peter-Paul-Cahensly-Schule in seiner Eröffnungsansprache.
Opfern ein Gesicht geben
Anders als die abstrakte Vermittlung zur Judenverfolgung im Dritten Reich im Schulunterricht wolle Thoma diese Historie am Beispiel der Mitglieder der Eintracht Frankfurt aufarbeiten und der Öffentlichkeit lebendig vermitteln. Der Verein wolle wissen, wie die Eintracht Frankfurt und ihre Mitglieder wie das Management in der NS-Zeit gehandelt haben. Neben der Erweiterung der Erinnerungskultur mit dem Museum, dessen ein erheblicher Teil der Judenverfolgung gewidmet ist, und der Verlegung von so genannten Stolpersteinen, setze man ebenso auf ein Angebot mit vielen Schulprojekten, Workshops für Lehrkräfte und der Fan-Betreuung.
Laut Satzung stand damals die Eintracht Frankfurt auf den Füßen der Demokratie, der zugleich für seine Weltoffenheit bekannt war. Menschen jüdischen Glaubens waren willkommen und machten zahlreich von einer Mitgliedschaft gebrauch, wodurch im Volksmund die Bezeichnung „Juddebube für die Fußballmannschaft“ entstand, was eher einen abwertenden Beigeschmack hatte.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten löste dann eine Gleichschaltung aus, was die Umsetzung des Führerprinzips bedeutete. Insbesondere Menschen jüdischen Glaubens waren in den Vereinen nicht mehr tragbar, wodurch das Vereinsleben 1933 auf den Kopf gestellt wurde. So bediente sich etwa die Hitlerjugend der Jugendspieler. Ab 1936 durften die Jugendlichen nur noch in der Eintracht mitspielen, wenn sie gleichzeitig in der Hitlerjugend organisiert waren. Während der Fußballspiele mussten die jungen Männer das Abzeichen der Hitlerjugend auf ihren Trikots tragen und den „Deutschen Gruß“ zeigen.
Dargestellt wurde das Leben des jüdischen Fußballspielers Julius Lehmann, der zu seiner Zeit in der Eintracht Frankfurt als sehr engagierter Spieler galt. Lange Jahre dachte man, dass er in die Schweiz geflohen ist. Tatsächlich tauchte er in den Vereinschroniken seit 1937 nicht mehr auf, bis man später erfuhr, dass Lehmann 1942 in den Osten deportiert wurde und dort verstarb. Sein Bruder Max, Spielbetreuer bei der Eintracht, überlebt. Seine Mutter überlebte das Konzentrationslager Theresienstadt nicht. Ebenso standen auch Fans des Vereins im Mittelpunkt der Darstellungen des Museumsleiters. „Sonny“, mit bürgerlichem Namen Helmut Sonneberg, war und ist mit seinen 90 Jahren ein leidenschaftlicher Eintracht-Fan. Am Tag der Reichspogromnacht 1938 wurde er als Siebenjähriger von seinen Eltern getrennt. Für Sonneberg seien dies die schlimmsten Jahre seines Lebens gewesen. Dabei gingen die Gräuel weiter: die Armut während der Kriegsjahre, der Hunger, das Leben im Bunker oder auf der Straße, die Bomben, danach die Deportation nach Theresienstadt.
Nach der Befreiung durch die Alliierten wurde die Entnazifizierung in den Vereinen eingeführt. Entsprechend mussten alle, die in die Eintracht Frankfurt zurückwollten, eine Erklärung unterschreiben, dass sich vom Nationalsozialismus distanzierten. Dabei grenzte es schon an ein Wunder, dass Emanuel Rothschild einer von ca. 200 Frankfurter Juden den Krieg und das Konzentrationslager Dachau überlebte. So ist ihm die Neugründung der Eintracht Frankfurt nach dem Zweiten Weltkrieg zu verdanken.
Für Thoma sei es nach all der schrecklichen Geschichten um die Judenverfolgung eine positive Erfahrung, dass noch heute bewegende Kontakte zu den Angehörigen oder zu den Überlebenden bestünden. Trotz Verfolgung, Leid und Flucht würden sie ihre Verbundenheit zur Eintracht Frankfurt zeigen.
Für Thoma und seinen zahlreichen Museumsmitarbeitern ist nicht nur die Aufarbeitung und das Gedenken der jüdischen Vereinsmitglieder wichtig und sie damit aus der Anonymität herauszuholen, sondern auch die Schuldigen zu betrachten. Dabei arbeite der Verein eng mit dem Fritz Bauer-Institut zusammen. Heutzutage gehe es auch um die Frage nach den Verantwortlichen. So etwa um den ehemaligen WM-Spieler von 1934 und Vereinsvorsitzenden Rudi Gramlich. Das Fritz Bauer-Institut habe auf Anregung der Eintracht über die Vereinsführung recherchiert, dessen Ergebnisse dazu geführt haben, dass Gramlich als damaliges SS-Mitglied beim Totenkopfbataillone in Krakau die Würde des Ehrenpräsidenten postum aberkannt wurde.
Erinnerung lebendig halten
„Die Erinnerung an die Opfer wird seit 2005 vielen Vereinen aktiv betrieben. Was jetzt mittlerweile passiert, ist ein Wechsel, dass man auch nach den Verantwortlichen schaut“, so Thoma. Dies sei aus eigener Erfahrung erheblich schwieriger als die Erinnerung an die Ermordeten, denen mit der Erinnerungskultur ein Gesicht gegeben wird. Hier gebe es unter anderem Hindernisse seitens von Familien.
Zukünftig wolle die Eintracht neben der Aufklärungsarbeit dazu beitragen, dem Antisemitismus in der aktuellen Zeit zu begegnen. So etwa mit der Museumsarbeit, den Stolpersteinen-Projekten und der Veranstaltung „United Colors of Frankfurt – Eintracht lebt von Vielfalt“, die mit den Fans gegen Rassismus und Antisemitismus wirken will.
Respekt, Toleranz und gegenseitige Wertschätzung: Dafür setzt sich die Peter-Paul-Cahensly-Schule ein. So wurde die Limburger Schule unter anderem als „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ und als „Grenzenlos-Schule“ für mit Freude gelebte Vielfalt und Internationalität ausgezeichnet.
Die gesamte Veranstaltung stellt der Verein “Wir sind mehr” auf seiner Internetseite www.wirsindmehr-limburg.de vor.
Titelbild: Matthias Thoma präsentiert Stolpersteine in Erinnerung an den Jugendspieler Max Girkulski
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