Jugendrebellion und Stasi-Terror
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- Date 3. Dezember 2024
Jugendrebellion und Stasi-Terror: Lothar Rochau über den Preis der Freiheit
Lothar Rochau hat stets für eine bessere DDR gekämpft. Dafür kam er ins Gefängnis, 1983 kaufte ihn der Westen frei, doch der engagierte Diakon empfand es als Niederlage. Vor rund 150 Schülerinnen und Schülern der Peter-Paul-Cahensly-Schule Limburg schilderte er in der Aula seine Erfahrungen im SED-Regime.
Die Veranstaltung fügt sich nahtlos in das Profil der weiterführenden Schule ein, die sich für die Ziele Frieden, Weltoffenheit und nachhaltige Entwicklung der UNESCO einsetzt. „Als mitarbeitende UNESCO-Schule legen wir besonderen Wert auf Demokratie- und Menschenrechtsbildung“, betonte Petra Schneider-Staiger, stellvertretende Schulleiterin. Zeitzeugen wie Rochau seien unerlässlich, damit Jugendliche aus persönlichen Erlebnissen lernen und die Gegenwart besser verstehen könnten. „Es geht darum, eine friedliche Zukunft aktiv mitzugestalten“, ergänzte Schneider-Staiger in ihrer Eröffnungsansprache gegenüber den Schülerinnen und Schülern.
Erster Bruch mit der DDR
Mit 16 Jahren las Lothar Rochau Herman Hesse und hört die Rolling Stones, mit 21 begann er eine Ausbildung zum Diakon, engagierte sich in der Friedens- und Umweltbewegung der DDR. Doch bereits 1968, als der Prager Frühling durch die Truppen des Warschauer Paktes blutig niedergeschlagen wurde, begann sein Glaube an den Sozialismus zu bröckeln. „Ich konnte nicht verstehen, dass Menschenrechte derart brutal verletzt wurden, um eine stalinistische Gesellschaft aufrechtzuerhalten“, erklärte Rochau. Eingeschränkt von einem staatlichen System, in dem Anpassung und völlige Akzeptanz der Regierung der einzige Weg war, um ein normales Leben zu führen, erlebte Rochau seine „ganz persönliche Eiszeit“.
Trotz dieser Desillusionierung absolvierte er die polytechnische Oberschule, das Abitur und eine Ausbildung zum Werkzeugmacher. Mit 18 Jahren wurde er zur Nationalen Volksarmee (NVA) eingezogen, wo er die Drangsalierung junger Männer durch ein strenges Disziplinierungssystem erlebte, dessen Ziel es war, sie mit einer überzogenen Ideologisierung für einen Krieg gegen den Westen vorzubereiten.
„Für uns Jugendliche war Rockmusik ein Ventil“, sagte Rochau. „Langhaarige junge Leute, die trampen und Rockmusik hören, Menschenrechtsdebatten führen oder sich für Frieden und Umwelt engagieren“, das war für das SED-Regime zu viel, erläutert Rochau. Es habe nicht lange gedauert und Rochau wurde zum Staatsfeind erklärt.
Verrat durch die Kirche
In der evangelischen Kirche habe er zunächst seinen Freiraum gefunden. Als Jugenddiakon machte er für viele Kinder und Jugendliche in Halle-Neustadt den Unterschied. Mehrere hunderte Jugendliche strömten zu den Veranstaltungen seiner Gemeinde. In einer Zeit, in der die Kinder in der FDJ auf das Funktionieren in der kommunistischen Diktatur eingeschworen werden sollten, erreichte Rochau ihre Herzen, versteht ihre Fragen und Sorgen und öffnet Räume für Diskussionen. Und diese Treffen seien der DDR-Regierung ein Dorn im Auge gewesen.
1983 erlebte Rochau einen schweren Schlag: Seine eigene Kirche entließ ihn, wodurch er praktisch vogelfrei wurde. „Die Leitung der Kirche war zwiespältig – drei ranghohe Funktionäre arbeiteten als Informelle Mitarbeiter der Stasi“, berichtete Rochau. Sein Glaube blieb davon unberührt, doch sein Vertrauen in die Institution Kirche zerbrach.
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) überwachte ihn lückenlos, konstruierte Anklagepunkte und orchestrierte schließlich einen Schauprozess. Rochau wurde zu drei Jahren Haft im berüchtigten Gefängnis „Roter Ochse“ in Halle verurteilt. Nur Monate später wurde er gegen Devisen in den Westen abgeschoben. Sein Vater, überzeugter Sozialist, konnte diesen Schritt nicht akzeptieren, während der Kontakt zu seiner Mutter sporadisch blieb. „Ein Sohn, der Protestbriefe gegen den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker schreibt, völlig undenkbar in diesem System.“
Psychoterror und Isolation
„Die Verhöre im Gefängnis dienten dazu, mich zu brechen“, schilderte Rochau. Mit Methoden der „operativen Psychologie“ versuchte die Stasi, ihn zu zermürben. Beweise wurden fabriziert, Drohungen gegen Freunde und Familie ausgesprochen. „Ich wurde zu einer Nummer degradiert“, erklärte er. Ständig hörte er die Sätze: „Denken Sie daran, wir haben die Macht! Sie sind ein Feind der sozialistischen Gesellschaftsordnung!“ Mit über 100 Stasi-Spitzeln und einer 10.000 Seiten starken Akte war die Überwachung erdrückend. Besonders bitter: Sein Verteidiger, Wolfgang Schnur, war ein Meisterspion der Stasi. „Schnur hat auch immer wieder gegenüber der evangelischen Kirche als Kirchenanwalt diese doppelte Rolle gespielt“, so Rochau.
Nach dem Fall der Mauer wurde das Urteil gegen Rochau im März 1991 aufgehoben. Nach der strafrechtlichen Rehabilitation kehrte Rochau nach Halle an der Saale zurück. „Es war ja alles in einer totalen Umbruchsituation in der DDR, es war völlig unklar, wo das ganze Schiff hinsteuert. Ich wollte unbedingt den Neuaufbau, den Wiederaufbau mitgestalten“, erzählt Rochau. Verbittert im Rückblick ist der heute 72-Jährige nicht. 17 Jahre lang habe er nach der Wende als Leiter des halleschen Jugendamtes gearbeitet. „Eine unglaublich spannende Zeit.“ Heute leite er eine Stiftung für kirchliche Aus- und Weiterbildung in der Südzentral-Diözese in Tansania.
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