Plädoyer für eine diskriminierungskritische Grundhaltung
Wie Diskriminierung in der Institution Schule erkannt und angegangen werden kann, stellte der Referent Oliver Fassing von der Bildungsstätte Anne-Frank den Lehrkräften der Peter-Paul-Cahensly-Schule Limburg im Rahmen des Pädagogischen Tages vor.
Schulen werden vielfältiger und die Schülerinnen und Schüler heterogener, wodurch die Anforderungen an die Lehrkräfte steigen, aufkommende Konflikte zu erkennen und zu vermeiden. Umso wichtiger ist es, Chancengerechtigkeit zu fördern, Diskriminierungen zu verhindern und Antidiskriminierung als Bildungsziel zu verankern. Diesem Thema widmete sich das gesamte Kollegium der Peter-Paul-Cahensly-Schule während des vergangenen Pädagogischen Tages. Dazu eingeladen war Oliver Fassing, Bildungsreferent der Bildungsstätte Anne-Frank aus Frankfurt.
Werden Noten gerecht vergeben?
„Nicht nur innerhalb der Schülerschaft kommt es zu Diskriminierungen, sondern auch im Rahmen der Institution Schule, ob bei Benotungen oder im Verhalten von Lehrkräften gegenüber den Schülerinnen und Schülern“, so Bildungsreferent Fassing. Wenn beispielsweise Gymnasialempfehlungen für Kinder mit Migrationshintergrund deutlich unter den anderen Kindern liegen, dann kann es sich um eine Benachteiligung handeln, für die die Lehrkräfte und die Strukturen an der Schule gleichermaßen verantwortlich sind. Aber auch die Gesellschaft habe beim Thema Schule bestimmte negativen Haltungen, die diskriminierend sind, so Fassing, zum Beispiel die Vorstellung, dass alle Kinder und Jugendlichen mit einer Behinderung auf Förderschulen unterrichtet werden sollten.
Fassing empfiehlt in seinem Vortrag „Diskriminierung in Gesellschaft – Herausforderungen für die Institution Schule und den pädagogischen Alltag“ den Schulen die Entwicklung einer Strategie gegen Diskriminierung. Dazu müsse zunächst geklärt werden, was unter Diskriminierung zu verstehen sei. Vor dem Hintergrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes wird von Diskriminierung gesprochen, wenn eine Person aufgrund eines bestimmten Merkmals in einer vergleichbaren Situation schlechter behandelt wird als andere Personen, bei denen dieses Merkmal fehlt und ohne dass es dafür einen sachlichen Grund gibt. Fassing nennt dabei insbesondere die ethnische Herkunft, das Geschlecht, die Religion oder Weltanschauung, Behinderungen und chronische Erkrankungen, das Alter und die sexuelle Identität. Im Kontext der Schule sind noch andere Diskriminierungsmerkmale zu nennen, etwa der Familienstatus oder die soziale Herkunft. Unmittelbar oder direkt diskriminiert werden Personen aufgrund eines der geschützten Merkmale, wenn sie eine weniger günstige Behandlung als eine Vergleichsperson erfährt. So ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Schüler trotz gleicher Leistung mit ausländischem Migrationshintergrund eine schlechtere Note erhalten als Schüler ohne Migrationshintergrund.
„Schwarze sind dumm. Juden sich reich.“
Diskriminierung erfolge für den Bildungsreferenten vor allem auf drei Ebenen: der interpersonellen, der institutionellen und der symbolischen Ebene. Da eine Trennung nicht klar durchführbar sei, empfiehlt Fassing in der Schule alle drei Ebenen im Blick zu behalten.
Auf der interpersonellen Ebene gebe es Bilder in der Gesellschaft über Personen und Personengruppen, denen bestimmte Eigenschaften zugesprochen würden. Ein Beispiel für eine Diskriminierung auf institutioneller Ebene seien etwa die Sonderschulüberweisungen für Kinder mit Migrationshintergrund. Mit Sprachdefiziten und kulturellen Differenzen würden diese Überweisungen gerechtfertigt, ohne eine Überprüfung der muttersprachlichen Fähigkeiten vorzunehmen, um das Sprachdefizit als Ursache für Lernschwierigkeiten auszuschließen. Dieses Handeln der Institutionen sei nicht nachweisbar und finde unbewusst statt. Die symbolische Ebene betreffe Vorstellungen, Bezeichnungen und Bilder. Häufig würden dabei Stereotypisierungen eine Rolle spielen. Stereotype Ideen und Bilder würden von Medien transportiert, fänden sich aber auch in alltäglichen Gesprächen, in Schulbüchern oder Lehr- und Lernmaterialen wieder. So würden Menschen mit dunkler Hautfarbe oft als „dumm“ angesehen. Ebenso werde heute noch der Stereotyp vom „reichen Juden“ benutzt.
Diskriminierung mindert Lernerfolg
An betroffene Schülerinnen und Schülern gehen diese Diskriminierungen nicht spurlos vorüber, sondern haben gravierende Auswirkungen, ist sich Fassing sicher. Empirische Untersuchungen konnten belegen, dass Diskriminierungen den Lernerfolg negativ beeinflussen, bei den Schülern Bedrohungsgefühle entstehen und auch zukünftige Entscheidungen, zum Beispiel die Berufswahl, beeinflusst werden. Dies sorgt für permanenten Stress der Betroffenen. „Jeder Schüler nimmt Diskriminierung anders wahr“, sagt Oliver Fassing. Den Lehrkräften gebe er folgende Empfehlung auf den Weg: „Agieren Sie so, dass sich ein Betroffener in seiner Identität gestärkt und nicht allein gelassen fühlt“.
Diskriminierung zeige nach Ansicht Fassings neben der Schule auch in der Gesellschaft gravierende Auswirkungen. Noch immer gebe es Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern. Noch immer seien Frauen in der Politik unterrepräsentiert. Am Wohnungsmarkt würden Mieter mit heller Hautfarbe und einem deutschen Namen bevorzugt. Wer sich mit einem Kopftuch auf dem Bewerbungsfoto oder mit einem ausländischen Namen bewirbt, wird auch heute noch benachteiligt.
Fassing empfiehlt zur Aufdeckung und Identifizierung von Diskriminierung für die Schule zu untersuchen, an welchen Stellen Diskriminierung in der Einrichtung auftritt und wie sie sich äußert. Dadurch werden Benachteiligungen sichtbar gemacht und ein Raum zur Thematisierung geboten. Befragungen, die Untersuchung von bestehenden Regeln und die Analyse von Unterrichtsmaterialien können dazu beitragen. Sind dann Diskriminierungsrisiken erkannt worden, gilt es diese mit präventiven Maßnahmen zu bekämpfen. Maßnahmen sind hier etwa die Schulung des Lehrpersonals oder die Schaffung von Beratungsangeboten.